Tuesday 25 February 2014

Die Geschichte des Kugelschreibers


Da ich eine vorübergehende Funktionsuntüchtigkeit meines Computers verursacht habe, schreibe ich das hier per Hand. Sonntagnachmittag: Eine kleine Zweimann-Pierogi-Manufaktur. Im Backrohr ruht ein Apfelstrudel. Wir haben gekocht, Jakub und ich. Leise rieselte der Zucker. Seither versperren die Tasten sich. Abermillionen Zuckerkörner liegen unter ihnen. Es knirscht, wenn man zu fest darauf drückt. Die Zuckerdose steht am Fensterbrett, als ich von Musik beschwingt, das Fenster aufreiße. Die Dose fällt der Deckel fliegt und ihr Inhalt ergießt sich über die Tastatur, den Stuhl, den Küchenboden. In der Küche dampft es, vermischen sich die verschiedenen Gerüche – nach Champignons und brutzelndem Hackfleisch, nach gekochten Kartoffeln, nach weichen Äpfeln und zerlassener Butter, nach dem, was kohlschwarz auf der Platte klebt, nach frischem Teig.

Polen und Österreich, unsere Herkunftsländer sind Teigkulturen. Zu flachen runden Kreisen ausgestochen oder lang gezogen. Pikant oder süß. Gefaltet oder gerollt. Ins kochende Wasser geschmissen oder bei Ober und Unterhitze durchgebacken. Polnische Pierogi und Wiener Apfelstrudel. Mein Strudelteig wurde nicht dünn wie ein Blatt Zeitungspapier und riss trotzdem ein. Vor uns liegt ein riesiger Teigklumpen, den wir Stück für Stück verarbeiten, löffelweise füllen. Durch die im Rezept angegebenen Menge Wasser erst viel zu flüssig, ist er durch die Hinzugabe von immer noch mehr Mehl immer weiter angeschwollen. Anstatt Kubas Mama nach dem Familienrezept zu fragen, schauen wir im Internet nach. Ein Kardinalfehler. Ihr hättet die Pierogi zuerst trocknen lassen sollen. Die einzelnen Stücke nebeneinander, nicht aufeinander legen. Da hilft es auch nichts, dass ich in weiser Voraussicht auf jede Lage eine Prise Mehl gestreut habe. Am Ende ist von all der mühseligen Kleinarbeit nicht viel zu sehen. Nur zwei angebrannte Pfannen, dreckige Töpfe, das Nudelwasser, das orange, milchig, ölig in der Spüle steht. Und ein warmer klebriger Brei. Wir retten uns, ins Lachen unserer Gäste, mit Rakija. In Panik schicke ich Jakub noch los, er soll Brot kaufen und auf den Tisch stellen, was von der Füllung noch übrig geblieben ist. Dann endlich gibt es fucked up Pierogi, Danas polnischen Salat „and this Apfelstrietzel of yours“.
Den Geschmack hätten wir ja getroffen, an der Ästhetik müssten wir halt noch arbeiten. Daheim hätte ich den Strudelteig wohl kaum selber gemacht und Jakub … Andrzej erzählt von seiner Mama, die an Feiertagen, für Familienfeste, für Verwandte,  oft tagelang in der Küche gesessen habe. Ich denke an all jene Frauen, deren flinke Finger unermüdlich Nudelteigmuscheln, -schmetterlingsflügel, -halbmonde drehen. Deren geschickte Hände Teige ziehen, so dünn, dass Licht durchscheint. Glatte Strudelrücken, perfekt gerundet, anschmiegsam. Mit Apfelfüllung weich wie Marmelade in optisch gewahrter Stückchen Form. Kultur, die aus den Küchen der Frauen kommt. Durch den Magen geht. Ich habe sie angestiftet, trotzdem werden die Pierogi Jakub zugeordnet, stehe ich auf der Seite des Apfelstrudels. Die Küche ist wohl der Bereich, wo die irdische Vielfalt am meisten geschätzt wird, die Neugier am „Exotischen“ groß, Diversität erwünscht und „Andersartigkeit“ akzeptiert ist. Diese Kultur macht uns satt. Man friert sie ein, taut sie auf, wärmt sie auf und erhitzt sie. Geschmackssache oder Geschmackssinn? Durch unsere Sinne nähern wir uns an.

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