Saturday 15 February 2014

First week rewind

Es ist Freitag, an der Zeit also die erste Woche Revue passieren zu lassen.

13. Februar – 6. Februar 2014, Pernik.

Каквото дойде – добре дошло (ausgesprochen: kakwoto doide – dobre doschlo)

Wortwörtlich: was-das kommt gut gekommenes
 
Sinngemäß: Was auch kommt, es ist willkommen.

Donnerstag.

Mein Paket ist angekommen. Etwas über eine Woche hat es gedauert. Gestern haben wir noch davon gesprochen und heute ist es schon da. Adrzej fragte mich was drinnen sei. Hauptsächlich Schuhe und Klamotten
für den Sommer, antwortete ich. „No exquisite, sweet little Mozart balls, no Schnaps or the tiny balls with rum inside, no Milka Schokolade and all those beautiful things from Austria.” Tut mir leid, ich hab nur an mich gedacht. Den lächerlichen Versuch in letzter Minute noch eine Packung Manner Schnitten aufzutreiben erwähne ich gar nicht erst. Dass es an einer bayrischen Tankstelle keine Manner Schnitten zu kaufen gibt, hätte ich mir nämlich eigentlich auch denken können.


„Can you do Plié?“ fragt uns Radi, den wir vor dem Culture House der Stadt treffen. Yoanas Bruder hat wie sie Ballett und zeitgenössischen Tanz studiert. Nach einer zweistündigen „short and brief introduction“, kommen die Mädchen, welche die Geschwister hier zweimal die Woche unterrichten. Wir sollen uns nicht wundern, wenn sie sich blöd anstellten und kicherten, hat Yoana uns vorgewarnt. Sie seien ausgesprochen scheu, obwohl sie sie schon lange auf uns vorbereite bestimmt verlegen, und manchmal zum Verzweifeln unverständig. Wenn es darum gehe eine Bewegung nicht nur auszuführen sondern ihren Grund zu spüren. Tanzen meint miteinander spielen, ist Kommunikation. Die Teenies sind reizend, wie sie nach der Reihe auf uns zukommen und uns die Hand geben. Sie lachen, weil sie Schritte vergessen haben, sie lachen, weil sie unsicher sind, wenn sie lachen werden sie unkonzentriert. „Radi is not happy“, sagt Yoana, die für uns übersetzt. Ich bin in diesem Alter nicht anders gewesen. Man spielt mit Auffangnetz, hat zwar mehrere Leben, aber geht nie das volle Risiko ein. Aber wenn da tatsächlich Leidenschaft ist und man steht nicht für sie ein,  dann ist es als würde man die Beziehung mit dem Menschen geheim halten, den man liebt und mit dem man zusammen sein will. Irgendwann wird diese Person sich betrogen fühlen, bzw. reicht die Heimlichkeit irgendwann nicht mehr aus um sich zu entfalten. Wenn die Mädchen soweit sind, „When there will be this one beautiful moment“, der auch für die Lehrer entscheidend ist, dann werden sie die Performance zeigen und wir werden mittanzen. Wenn wir bis dahin aufgeholt haben. „Jesus, I am such a poor dancer!“ hat Jakup gestern noch gesagt. Tja, wir haben nichts zu verlieren.

Mittwoch.
Zirkus Bulgarien. „A short and brief introduction“. Mit der alten Schrottkiste von Citroén, Andzrejs „temporary car“, werden wir einen rostigen Caravan ziehen. Quer durchs Land. Road Trip nennt man das hier. Unser Geld, damit wir tanken können und die anderen drei, die nicht jeden Monat wie wir ihr Taschengeld aufs Konto kriegen, was im Bauch haben, werden wir mit Performances verdienen. Street-theatre heißt das auch. Den Rucksack voller Jonglierbälle dürfen wir gleich mit nach Hause nehmen, Feuerspucken lern ich dann später.
 
Im Café Caramel gibt Yoni uns das restliche Geld, Taschengeld plus 90% der Reisekosten, 462 Lewa (ca. 230 Euro), ein dickes Bündel 10 Lewa Scheine (cirka 5 Euro), „now you are rich“, sagt Radi. Wir reden über AXA unsere Versicherung, über die man sich zwar seine Zähen machen lassen und eine neue Brille holen kann, die aber den Verlust persönlicher Sachen nicht abdeckt. Solange wir damit nicht geradewegs nach Gypsy-town marschierten, würde unseren Kameras schon nichts passieren, meint Andrzej. „Well, actually, …“ sagt Jakub und dreht sich zu mir. „My project”, sage ich, „I wanted to do something about the Gypsis. Woraufhin uns die drei mit großen Augen anschauen. Aber „ja“, sagen sie trotzdem. 

Dienstag.

Im Second-Hand Laden kaufen wir Arbeitshosen. Denn das Büro und zukünftige Studio von ArtAreA ist noch eine Baustelle unter dem Dach von Yonis Elternhaus. Das Büro des Grauens. Denke ich beim ersten Mal. Aber ich kenne das schon von anderen Baustellen, so ein Anblick kann angsteinflößend sein. Als ich den Raum das zweite Mal sehe, sehe ich anders, ich sehe was sie schon alles gemacht haben und dass, was noch zu tun ist, gar nicht so arg ist. Eineinhalb Stunden schleifen wir Balken ab. Ich sage, ich bräuchte noch Fotos von euch für meinen Blog, Yoana und Andrzej grinsen sich schief an, „Say hello to the two idiots from Bulgaria.“, sagt Yoana.
Andrzej führt uns durchs Haus. Durch den Garten mit den vielen Gewächshäusern, Blumentöpfen und Beeten. An den heiligen Winkel eines jeden Hauses wo Rakija gebrannt wird. Durch unzählige Räume in denen sich Gerümpel angesammelt hat, oder irgendwas gelagert wird. Wenn das Haus erst mal ihr gehöre, dann komme das alles weg, sagt Yoni. Im Erdgeschoß lernen wir Yoanas Großeltern kennen, die Oma küsst mich auf die Wange, ihr Großvater küsst meine Hand. Erst nach Yoanas und Andrzejs Interventionen lassen die beiden uns gleich wieder gehen. Als wir noch eine Weile im Garten stehen, schlurfen sie auf die Terrasse, der Großvater bückt sich ins Beet und pflückt sechs Schneeglöckchen, drei für Yoni, drei für mich, und die Oma hält uns eine Schachtel Pralinen hin, dunkle Schokolade mit Pfirsichcremefüllung. Deren Geschmack ist das einzige was mich nicht erwischt. Es ist hart, auf soviel Herzlichkeit kaum ein nettes Wort erwidern zu können. Ich will was sagen können, denk ich, ich will Bulgarisch sprechen. Und muss kurz wegschauen, weil mir Tränen in die Augen schießen.

Montag, Sonntag, Samstag, Freitag.

Es ist so warm, dass man im Café draußen sitzen kann. Unser Wifi reicht bis ins Café Caramel gegenüber. Organisatorisches. Das erste Meeting. Aufgaben. Projekt, Präsentation, Performance, P-PPPläne. Abtasten. Ein typisch bulgarischer Abend, Rakija in rauen Mengen, eine Platte voller Wurst aber ohne Brot und kannenweise Ayran. Bulgarische Musik, so laut, dass man sich im Restaurant nicht mehr unterhalten kann, ein DJ, der spielt, was die Leute bewegt. Aufzustehen, sich in eine lange Kette einzureihen und quer durchs Restaurant zu tanzen. Volkstänze. Straßenhunde, die bellen in der Nacht. Einkaufen. „Do you want to go to Lidl or to Kaufland?“, frisches Obst und Gemüse, frischen Honig und Rotwein in Plastikflaschen, Eier, Oliven und weißen Käse vom Markt. Kitsch und Krakra, „You have to like it, because it´s the only thing we can show you.”, sagt Andrzej und wir machen Sightseeing. Überreste einer Burganlage, eine alte Steinmauer, für deren Rekonstruktion die Stadt EU-Fördergelder kriegt. Und kloppen Plastikplatten drauf wie echte Schildbürger. Der Anblick ist furchtbar, doch die Aussicht ist super.

Donnerstag.

Ich bin nicht als Besucher hier. Ich werde hier leben, zehn Monate. Eine Wohnung haben, kochen, einkaufen gehen, aufs Geld schauen müssen, Scherereien haben, Alltagsprobleme lösen. Arbeiten. Ich sitze hier in meinem Bett, im siebziger Jahre Schick. Nebenan Jakub, mein polnischer Mitbewohner. Der Heizstrahler läuft, es ist warm. Das Schranksystem mit dem dunkelbraunen Holzfurnier, die fleckige weiße Wand, die Türe, die erst schleifend schließt wenn man sich mit seinem Gewicht dagegen stemmt, die wahnsinnigen Blumenmuster der Bettwäsche, der kleine Kreis aus Stuckimitat um die kugelrunde Deckenleuchte. Ich fühl mich wohl. Oder es fühlt sich nicht fremd an. Aber noch hab ich das Nest meiner neuen Wohnung nicht richtig verlassen, hat die Anreise fast unwirklich angemutet, ist es eigentlich irgendwo unfasslich, dass man sich nur ein paar tausende Kilometer, ein paar Flug- oder Autostunden aus seinem gewohnten „sauber aufgeräumten“ Umfeld rausbewegt und schon ist man in einer ganz anderen Welt, rissig, brüchig, aufgescheuert, wo ein Spalt nicht gleich zu gemacht wird, wo Lücken freiliegen, Wunden klaffen.

 

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